Die urbanen Strategien des Phantombüros
von Anja Dorn
- Das Wort "Phantombüro" wird automatisch mit Täuschung, Anonymität, plötzlichem Auftauchen
 - und Verschwinden assoziiert. Besonders scheint Phantombüro eher der Name eines Comics als
 - der einer Künstlerinitiative zu sein. Gegründet wurde Phantombüro 1998 von Martin Feldbauer,
 - Zoltan Lazlo, Daniel Milohnic, Stefan Müller, Dirk Paschke, Jörg Rees, Frank Wiehe und
 - Alexander Wolff (ein Musiker, ein Psychologe, ein Designer und fünf Künstler). Dieses 'Label'
 - deutet die Notwendigkeit an, immer wieder neue Voraussetzungen für ihre Arbeit und Projekte
 - zu finden. wegen finanzieller Enge ist die Gruppe auf mietgünstige Räume in Renovierungs-
 - oder Abrißobjekten angewiesen. Das Austellungsprojekt Threshold von Martin Feldbauer und
 - Dirk Paschke kann als Antwort auf diese instabile Situation gesehen werden. In Anspielung auf
 - die "Airport City" Frankfurt wurde eine Flughafen-Situation im Austellungsraum des Phantombüro
 - rekonstruiert. Die Räume transformierte man in einen Warteraum und eine Abfluglounge mit allen
 - ihren psychologischen und urbanen Zusammenhängen. Auf eine Außen-Leinwand vor den
 - Galeriefenstern wurden Bilder des Flughafen-Vorfeldes projiziert, den Traum vom Fliegen, Starten
 - und von Geschwindigkeit visualisierend.
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- Dirk Paschke, Martin Feldbauer Threshold 1998
 - Das Frühjahrs-Phantombüro fand danach seine zweiten Ausstellungsräume in der Nähe des
 - Frankfurter Hauptbahnhofs. In dieser Gegend stoßen architektonische und soziale Kontraste
 - in brutalster Weise aufeinander, es kann als der Brennpunkt der schnellen urbanen Entwicklung
 - Frankfurts bezeichnet werden. Hier, in der unmittelbaren Nähe des historischen Stadtzentrums
 - mit ihren nachgebauten touristenentzückenden Fachwerkhäusern und dem expandierenden
 - Bankenviertel mit spiegelverglasten Wolkenkratzern treffen sich riesige alte Fabrikgebäude und
 - Wohnstraßen aus der Jahrhundertwende. Diese Straßen sind nicht nur durch Prostitution,
 - Drogendealer und Junkies gekennzeichnet, sondern auch durch türkische und arabische
 - Gemüsehändler, Billigläden und kleine Schnellrestaurants, in denen auch die Banker mittagessen.
 - Im Gefolge der Globalisierung entwickelte sich Frankfurt bereits in den Achtzigern in eines der
 - Kontrollzentren des weltweiten Kapitalfluss- und Produktionsprozesses. Mit dem Wechsel von der
 - Stadt aus dem Industriezeitalter - gekennzeichnet durch einengendes Leben, Arbeiten und
 - begrenzte öffentliche Räume - zu einer "Global City" brachen die alten funktionalen
 - Stadtstrukturen auseinander. Die Hauptverwaltungen der transnationalen Unternehmen und die
 - repräsentativen Bauten der begleitenden Finanz- und Serviceunternehmen schossen wie Pilze
 - im Zentrum aber auch in Außenbereichen Frankfurts aus dem Boden. Der zunehmende
 - Raumbedarf für ökonomische Zwecke verknappt den öffentlichen Raum und dazu passend wird
 - die City mehr und mehr als Themenpark aus Shopping-Zentren entwickelt. Der Kampf um Raum
 - in der City Frankfurts ist eng verbunden mit dem Kampf um Arbeit. Getrennt von den
 - Beschäftigten der Banken und Versicherungen suchen Menschen mit einfacher Ausbildung, die
 - ihre Arbeit in der schrumpfenden Industrie verloren haben, nach Beschäftigung im Dienst-
 - leistungssektor. Leute, die in der City arbeiten aber dort nicht leben, identifizieren sich nicht mit
 - den sozialen Problemen, die im Herzen der Stadt hochkommen. Die so aufgesplitteten
 - Lebensräume führen zur Entfremdung des Bürgers von seinem Umfeld. "Bilder, Einbildung
 - und Visionen sollten das Urbane als ein vorstellbares Objekt festmachen und die fragmentierten
 - Räume zusammenhalten". Konsequent versuchen daher Städe wie München, Wien oder
 - Florenz ihre spezifischen Images zu pflegen, wogegen es unmöglich erscheint, Frankfurt in
 - homogener Weise zu charakterisieren. Frankfurt steht für Gegensätze und Konflikte, für eine
 - auf den Kopf gestellte Welt, jeden Tag ihr Aussehen wechselnd.
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- Zoltan Laszlo
 - Römerspargel 1999
 - Viele Projekte des Phantombüro beziehen sich auf diese urbane Situation. Eine Postkarte, ver-
 - öffentlicht von Zoltan Lazlo, zeigt die Fachwerkhäuser in Frankfurts historischem Zentrum zu
 - Wolkenkratzern mutiert. Kommentiert wird hier der Gegensatz zwischen dem, was Touristen als
 - authentisches Frankfurtbild präsentiert wird und der urbanen Realität.
 - Einige Zeit vor der Gründung des Phantombüros realisierten Daniel Milohnic und Dirk Paschke
 - das Projekt Hafenbad. Auf der Fläche eines Frankfurter Industriegebiets entlang eines Main-
 - Hafenbeckens bauten sie ein Schwimmbad aus zwei großen Stahlcontainern. Das Schwimmbad
 - war den ganzen Sommer über für die Öffentlichkeit frei zugänglich, es bot noch eine
 - Sonnenterasse, eine Bar, einen Tischtennistisch und ein Basketballfeld. Am angrenzenden
 - Gebäude befestigte man ein Schild mit der Aufschrift "Hotel". Sich gegen den zunehmenden
 - Ausverkauf von öffentlichem Raum wendend, wurde ein neuer sozialer Raum erfolgreich in
 - einem Gebiet geschaffen, das für solche Nutzung nicht gedacht ist. Der freie Eintritt war gewiss
 - einer der Gründe, dass das Schwimmbad immer gut besucht wurde, bis in die späte Nacht.
 - Hafenbad regte die Träume und Erinnerungen aus der Kindheit der Menschen an. Das Bild
 - eines noch existierenden Paradieses, verbreitet durch die internationale Tourismusindustrie, wurde
 - ironisch zitiert in einer Gegend, die diese Idee auszuschliessen schien. Milohnic und Paschke
 - belegten ein ungenutztes Gelände in einer Industriezone. Man könnte diesen leeren Räumen
 - zuordnen, was Robert Smithson für amerikanische Vororte in Anspruch nimmt: "[...] Jene Löcher
 - sind gewissermassen die monumentalen Leerräume, die Erinnerungsspuren aus dem Bauch
 - heraus in eine verlorene Zukunftsvorstellung projizieren. Solche Zukünfte findet man in B-klas-
 - sifizierten Utopiefilmen, die dann in der Vorortkultur imitiert werden". Diese Utopia(s), welche die
 - Konsumindustrie in überzeugend einschläfernder Weise in den Zentren präsentiert, verlieren
 - schnell ihren Glanz in der städtischen Peripherie. In der Arbeit des Phantombüros ist das Spiel mit
 - diesen Klischee-Zukünften ein wiederkehrendes Element: manchmal nur zitiert, manchmal bewusst
 - dekonstruiert.
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- Daniel Milohnic, Dirk Paschke Hafenbad 1996
 - So bieten die Phantombüro-Projekte Widerstand gegen das urbane Frankfurter System durch
 - Spiegelung auf der einen und Konfrontation mit ihren eigenen Ideen auf der anderen Seite.
 - Wenn das "System" aus ständigem Wechsel besteht, kann hier ein Platz des Widerspruchs
 - gefunden werden, an dem diese Entwicklung für eine bestimmte Zeit unterbrochen werden kann.
 - Dementsprechend sind die laufenden Vorhaben des Phantombüros in einem früheren türkischen
 - Club, - "nur für Mitglieder" - in einem Sanierungshaus untergebracht. Die Räume fungieren als
 - eine Art "Lounge", in der Ausstellungen, Parties und Konzerte stattfinden, aber sie werden auch
 - als einfacher Treffpunkt und Büro genutzt. Auf diese Weise übernimmt das Phantombüro eine
 - Strategie, die seit Anfang der Siebziger üblich ist: eine halböffentliche Situation zu schaffen, die
 - auch für Menschen attraktiv erscheint, die der Kunstszene nicht angehören. Die Räume wer-
 - den ebenso als Basis für Gemeinschaftsprojekte und Auseinandersetzungen zwischen unter-
 - schiedlichen Positionen innerhalb eines festen Personenkreises genutzt. Das Phantombüro ver-
 - tritt selbstverständlich keine gemeinsame Ideologie, dieses Label dient der Produktion individu-
 - eller Projekte seiner Mitglieder. Gleichberechtigt werden Filme/Videos, Installationen, Musik,
 - Lichtprojektionen und sogar wissenschaftliche Texte präsentiert. Dieser demokratische
 - Arbeitsansatz zeigt sich z.B. in Koproduktionen von zwei oder drei Personen. Für das
 - Ausstellungsprojekt Auf der Flucht vor der Rettung versuchten Frank Wiehe, Harald Ochs und
 - Jörg Rees in Jazzmusik ähnlicher Weise durch synchron gesteuerte Ton- und Lichtentwicklung
 - dem Eindruck entgegen zu wirken, als seien die Bilder mehr oder weniger nur zur Musik-
 - illustration gedacht. Die Installation bestand aus Geräuschen und sich durch den Raum
 - bewegenden Lichtbildern, die zu lokalisieren unmöglich war.
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Jörg Rees, Frank Wiehe ...auf der Rettung vor der Flucht ... 1997
- Eine zeitlang machte das Phantombüro Gebrauch von einem Medium, das für jedermann erre-
 - ichbar ist: eine wöchentliche Rundfunksendung genannt "Radio Escobar". In Interviews mit
 - Künstlern wurden einige Phantombüro-Projekte vorgestellt. Eines dieser Interviews betraf Daniel
 - Milohnics Ausstellung Kroatische Schule, das unüblicherweise in zwei Sprachen (Kroatisch und
 - Deutsch) geführt wurde. Milohnic hatte die graffitibemalten Wandoberflächen des väterlichen
 - kroatischen Heimatdorfes in den Ausstellungsraum im Franfurter Zentrum übertragen. Die ein-
 - fachen Kritzeleien von den Schulwänden erschienen unangepasst in dieser Umgebung, be-
 - sonders verglichen mit den "Tags" der Frankfurter Grafitti-Künstler. Milohnic verbrachte in seiner
 - Kindheit jeden Sommer im Dorf auf der kroatischen Insel Cres und hat sich in der Schule mit
 - anderen Kindern emigrierter Familien getroffen. Durch Abnahme der Wandbemalung mittels einer
 - Restaurationstechnik und ihre Versetzung nach Frankfurt schuf er einen "in-between-space" in
 - der Gallerie. Ein Raum für die Übertragung zwischen einem lebendigen Raum in der
 - Europäischen Randzone und dem Zentrum Frankfurts. Beide Räume und die Erfahrung, die man
 - zwischen ihnen machen kann, scheinen unverträglich zu sein, dennoch sind sie konstitutive
 - Identitätsteile der selben Person.
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- Daniel Milohnic
 - kroatische Schule 1998
 - Ebenso wie die Verbindung von anscheinend beziehungslosen Fragmenten sich in etwas
 - Neues verwandeln kann, wird dies deutlich in den Auszügen eines wissenschaftlichen Texts,
 - der vom neuronalen Prozess des kreativen Denkens handelt, vorgestellt von Zoltan Lazlo in
 - einer Phantombüro-Publikation. Gemäss Text ist Kreatives abhängig von Impulsströmen, die
 - nicht alle zu einem festen Zentralpunkt laufen, sondern von Impulsen, welche die üblichen
 - neuronalen Bahnen verlassen. In einem kreativ arbeitenden Gehirn werden "Tausende von
 - Erinneringsbildern und Clustern" durch Ereignisse und andere externe Stimuli aktiviert. Wenn
 - ein neuronaler Impuls eine neue Verbindung zwischen diesen getrennten Teilen aufbaut,
 - bekommen wir plötzlich einen neuen Gedanken, eine neue Idee. Lazlo konfrontierte den Text
 - mit einem Foto der Erde und zitierte einen Astronauten, der die Erde vom Universum aus sieht
 - dabei angstvoll entdeckt: die Erde erscheint so klein, dass sie von einem Daumen verdeckt
 - werden kann. Lazlo erkärt: "Die Forscher nennen dies schockartige Erfahrung, die alle
 - Astronauten und Kosmonauten im Weltall machen, den 'Übersichts-Effekt'. Sie erfahren den
 - blauen Planeten als ein Ganzes".
 
- (Aus dem Englischen übertragen von Gert Paschke)
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